Mediensprache
Fremde Wörter: Verfällt die deutsche Sprache?

Zu inkriminierender Aufkleber (Sticker): Fasten seat belt. 50 DM Strafe für jeden Taxifahrer, der diesen Aufkleber in seinem Taxi anbringt, forderte unlängst der Vorsitzende des Vereins deutsche Sprache, Walter Krämer, der sich den Kampf gegen Anglizismen auf die Fahne geschrieben hat. Damit nicht genug. Im April dieses Jahres schlug der Innensenator Berlins, Eckart Werthebach, ein Sprachreinigungsgesetz nach französischem Vorbild vor, um die Flut der englischen Fremdwörter einzudämmen. Zu einem Gesetzesentwurf kam es nicht, aber: Die Diskussion um Sprachverfall versus sprachliche Variation und Sprachwandel, Sprachpurismus versus Sprachpflege fand nunmehr in der Medienöffentlichkeit statt. Sind ›fremde‹ Wörter die Gastarbeiter der deutschen Sprache oder kolonisieren sie das Deutsche, sind sie Fremde und dringen in das Deutsche ein und zerstören seine Grundstrukturen?
Wenn man laienlinguistischen und populistischen Meinungen glauben darf, ist es um die deutsche Sprache schlecht bestellt, denn sie »ist von Verwirrung bedroht. Sie wird bis zum Verlust der allgemeinen Verständlichkeit verändert und mit fremdem Sprachgut vermischt.«, schreibt Gerhard Illgner in dem im letzten Jahr erschienenen Band Die deutsche Sprachverwirrung. Lächerlich und ärgerlich: Das neue Kauderwelsch. Und in der Tat: sind nicht Wörter wielight, Customer Service, Event, Trailer, downloadenüberflüssige, weil kaum verständliche Wörter, die zudem nicht in das grammatische System des Deutschen passen? Das Joghurt (früher Yoghurt, türkisches Lehnwort) ist light, aber gibt es ein lightes Joghurt? Wie ist der Plural vonDatscha und Trailer, heißt esdowngeloadet oder gedownloadet? Dass Wörter fremdsprachlicher Herkunft nicht in das deutsche System integriert werden können und seine Tiefenstrukturen beschädige, ist ein hartnäckiges Vorurteil, das der bekannte Grammatiker Peter Eisenberg mehrfach widerlegt hat. Ein lightes oderlighter Joghurt klingt vielleicht ungewöhnlich, aber die Bildung ist regelmäßig, wenn auch das Genus schwankend ist.Datschas ist die normale Pluralform bei auf Vollvokalen endenden Lehnwörtern, wenn auch Datschen möglich ist. Analog zu runtergeladen wird downgeloadetgebildet. Die Bildung komplexer Wörter wie Fahrzeugservice, interneterfahren, megacool bildet ebenso kein Problem wie die lautliche und orthografische Integration: Tip/Tipp, getimed/getimt, in jedem Falle gesprochen ›geteimt‹. Probleme bei der Bildung wie z.B. geupgradet versusupgegradet sind keineswegs typisch für Fremdwörter, sondern hausgemachte, man vergleiche gebauspart vs.baugespart, zu bausparen vs.bauzusparen. Mit der Integration von fremden Wörtern gibt es keine ernst zu nehmenden Probleme. Erstaunlich ist vielmehr, wie reibungslos die Integration erfolgt und wie wenig Zweifelsfälle es gibt.
Ein zweites Vorurteil besteht darin, dass es zu einer ›Überflutung, Überschwemmung‹ durch Fremdwörter, insbesondere Anglizismen komme. Seit 1945 sind allerdings allenfalls etwa 3500 englische Wörter in den Allgemeinwortschatz aufgenommen worden. Viele der als überflüssig beklagten Anglizismen sind Fachwörter (Computerwortschatz, Wirtschaftswissenschaften) oder begegnen uns für kurze Zeit in der Werbung, in der Mode, in der Popmusik, um dann ebenso sang- und klanglos zu verschwinden wie die Radio-DDR-Tip-Parade. Andererseits: Viele Wörter sind so fest im Wortschatz des heutigen Deutsch verankert, dass sie als Entlehnungen weder bekannt noch bewusst sind, wie zum Beispiel aus dem deutsch-lateinischen Sprachkontakt Mauer und Straße, Fensterund Keller, Apfel und Birne.
Wenn Fremdwörter seit Jahrhunderten in das Deutsche integriert wurden und weiterhin ohne Probleme werden, wenn Sprachkontakt zu einem funktionalen Ausbau des Fach- und Allgemeinwortschatzes führt, warum wird zur Fremdwortjagd geblasen? Wie erklärt sich die Suggestivkraft, die von sprachpuristischen Positionen ausgeht?
Klagen über den Verfall der deutschen Sprache sind nicht neu, sie gibt es so lange, wie es ein auf das Nationalgefühl bezogenes Bewusstsein hinsichtlich der deutschen Sprache gibt. Dem Verfall, so wurde und wird suggeriert, ist komplementär der Verfall der Kultur und guten Sitten, mehr noch als dies: Sprachverfall ist Kulturverfall. Peter von Polenz, Mentor der modernen germanistischen Sprachwissenschaft, hat in verschiedenen Beiträgen gezeigt, dass in Deutschland der öffentliche Kampf gegen Wörter aus anderen Sprachen – zunächst gegen die Vorherrschaft des Lateinischen, dann des Französischen – eng verbunden ist »mit einer politischen Aktivierung des Nationalgefühls«, schließlich mit Nationalismus bis hin zur Deutschtümelei. Berühmt ist Joachim Heinrich CampesWörterbuch zur Erklärung und Verdeutschung der unsere Sprache aufgedrungenen deutschen Ausdrücke vom Jahre 1801, wo er vom »fremden oder Zwitterworte« spricht, »welches man widerrechtlich in unsere Sprache mischt«. Eine besondere Bedeutung kommt den Sprachvereinen wie dem 1885 gegründeten Allgemeinen Deutschen Sprachverein zu, die die Fremdwortverdeutschung mit der Frage der nationalen Identität verknüpfen. Im Wilhelminischen Deutschland werden jene sprachideologischen Positionen vorbereit, die im Nationalsozialismus in einen chauvinistischen und rassisch begründeten Sprachpurismus münden.
Doch nicht nur in Deutschland, auch in den anderen europäischen Ländern sind Sprachpurismus und Nationalismus fest durch ein ideologisches Band verbunden, in Frankreich bis hin zum ›Gesetz betreffend den Gebrauch der französischen Sprache‹ aus dem Jahre 1975, in dem der Gebrauch der französischen Sprache in bestimmten Bereichen wie Radio und Fernsehen verordnet und der Gebrauch von Anglizismen unter Strafe gestellt ist.
Sprachpurismus, Sprachpflege, Haltungen zu sprachlichen Traditionen und Innovationen sind nicht linguistisch begründbar, sondern sie sind Ausdruck gesellschaftlicher Prozesse. Wenn Sprache bewertet wird, wird immer der Sprachgebrauch bewertet, sei es das gehörte oder geschriebene Wort. Insofern stellt sich die Frage, warum wieder seit Mitte der 90er Jahre sprachpuristische Tendenzen in Deutschland en vogue sind, warum Anglizismen als die deutsche Kultur bedrohend empfunden werden. Der heutige Sprachpurismus ist eine Folge der Wiedervereinigung und der Ausformulierung einer nationalen Identität, eingebettet in die Diskussion um die Frage, was es heißt, ›ein Deutscher zu sein‹. Der vorgebliche Sprachverfall bildet die Negativfolie, von der aus die Wahrung der nationalen Identität zum Programm erhoben wird. Wie ein roter Faden zieht sich durch die deutsche Geschichte die Verklammerung von sprachpuristischen Tendenzen und der politischen Formierung des Nationalgefühls.
Wie wir sprechen bzw. schreiben ist immer auch Ausdruck unserer Haltung gegenüber anderen Sprechern, unseren Zielen, die wir zu erreichen suchen, unseren sprachästhetischen Vorstellungen, unserer kulturellen Zugehörigkeit. Man mag englische und französische Modewörter gut finden oder nicht, man mag englische Fachtermini an der Börse für angemessen halten oder nicht, man sage Fahrkarte anstelle von Ticket und Droschke statt Taxi. Man kritisiere Worthülsen und Plastikwörter, engagiere sich für das Deutsche als Nationalsprache, spreche politisch korrekt und vermeide Vulgarismen – all dies sei jedem freigestellt. Aber man lasse die deutsche Sprache sich entwickeln, frei von Sprachreinigungsgesetzen und sprachdiktatorischen Listen auszumerzender Fremdwörter. Denn »Sprache ist ein wichtiges Element der Demokratie«, heißt es in einer kürzlich publizierten Stellungnahme der Gesellschaft für deutsche Sprache zur Diskussion um das Sprachreinigungsgesetz. »Mündigen Bürgerinnen und Bürgern sollte es vorbehalten bleiben, Sprache in ihrem Sinne einzusetzen.« (15.5.2001)
Peter Schlobinski